12.1 Zustandspassiv und Vorgangspassiv

Das Deutsche unterscheidet zwischen einem Vorgangspassiv und einem Zustandspassiv. Wir werden gleich sehen, dass diese Unterscheidung im Italienischen so streng nicht existiert und zweitens unnötig ist, da das Italienische für das Vorgangspassiv eine Alternative besitzt.

Das Zustandspassiv beschreibt das Ergebnis eines Prozesses, das Vorgangspassiv den Prozess selber.

Zustandspassiv: Die Rüben sind geerntet.
Vorgangspassiv: Die Rüben werden geerntet.

Wobei natürlich klar ist, dass es ein Ergebnis eines Prozesses ohne vorherigen Prozess nicht geben kann und die Rüben nur deswegen geerntet sind, weil sie vorher geerntet wurden.

Das Italienische unterscheidet nicht so streng und schlüssig zwischen einem Zustandspassiv und einem Vorgangspassiv. Auf die Bildung gehen wir gleich ein, die Konstruktion ist aber ohne weiteres verständlich, denn sie entspricht, zumindest wenn kein Modalverb involviert ist, 100 prozentig der deutschen Konstruktion.

Beispiel  
La macchina è stata riparata.
Das Auto ist repariert.  
Das Auto wurde repariert.  

Wie deutlich sichtbar, kann im Italienischen die Form essere + Partizip Perfekt sowohl ein Vorgangspassiv wie auch ein Zustandspassiv sein, wodurch sich noch ein bedeutender Unterschied ergibt.

Bei einem Zustandspassiv kann im Deutschen der Ausführende der durch das Verb beschriebenen Handlung nicht genannt werden, Sätze dieser Art sind grammatikalisch falsch und klingen schief.

Das Auto ist von ihm repariert.

Genau dies ist aber im Italienischen möglich.

La macchina è stata riparata da lui.

Übersetzen wir jetzt die beiden Sätze, fallen uns zwei Dinge auf.

Beispiele  
a) La macchina è stata riparata. Das Auto ist repariert.
b) La macchina è stata riparata da lui. Das Auto wurde von ihm repariert.

Wir haben also in der Deutschen Übersetzung gleich zwei Änderungen. Während a), der Zustandspassiv, mit dem Präsens von sein übersetzt wird, ist bei b), dem Vorgangspassiv, mit dem Imperfekt von werden zu übersetzen. Das ist zwar merkwürdig, aber logisch. Man kann nicht einen Zustand in der Gegenwart beschreiben und den Urheber, man kann beide nur so miteinander verbinden, dass ein bestimmter Zustand von einem Urheber herbeigeführt wurde, also mit einem Vorgangspassiv. Was dann allerdings gleich die nächste Frage aufwirft. Wie ist das, wenn auf einen Prozess in der Gegenwart abgestellt wird. Die Konstruktion 'eine Form von essere in der Gegenwart' + Partizip Perfekt + Urheber hat ja immer einen Vergangenheitsbezug, Sätze dieses Typs, bei der ein Prozess in der Gegenwart beschrieben wird, können also mit dieser Konstruktion nicht beschrieben werden.

Beispiele
Das Auto wird gerade von ihm repariert.
Also: Klar ist, dass es so nicht geht.
La macchina è stata riparata da lui in questo momento.

Denn das würde sich beißen. 'È stata riparata da lui' hätte einen Vergangenheisbezug, das 'in questo momento' würde auf die Gegenwart verweisen. In diesem Falle muss im Italienischen eine andere Konstruktion gewählt werden.

Beispiel 
La macchina viene riparata da lui in questo momento.

Prinzipiell entspricht die Konstruktion venire + participio passato eher dem deutschen Vorgangspassiv, die Konstruktion essere + participio passato eher dem deutschen Zustandspassiv, wenn auch in der Regel eine Substitution möglich ist. Bei einem Vorgangspassiv in der Gegenwart ist allerdings keine Substitution möglich, hier ist allein die Konstruktion venire + participio passato möglich.

Wir werden das gleich nochmal behandeln, wollen aber schon mal erwähnen, dass sich die Bedeutung des Passivs, was das Italienische angeht, etwas relativiert, weil das Italienische eine alternative Struktur kennt (siehe auch Il si passivante, die die oben genannten Ziele des Passivs (Vermeidung den Ausführenden der durch das Verb beschriebenen Handlung zu nennen) gleichermaßen realisiert. Das si passivante kommt den meisten Leuten erstmal ziemlich merkwürdig vor, hierbei wird aber oft vergessen, dass es diese Konstruktion im Deutschen auch gibt.

Seine Bücher verkaufen sich gut.
Das Buch verkauft sich gut.

Es ist wohl unstrittig, dass die Bücher hier Subjekt des Satzes und Ausführende der Handlung sind, zumindest grammatikalisch, denn die Bücher bzw. das Buch regieren das Verb. Genau so klar ist aber, dass das nur grammatikalisch richtig ist, denn dass sich die Bücher selber verkaufen, ist kaum anzunehmen, wäre dem so, bräuchte man nur noch Produkte produzieren, die sich selber verkaufen, alle wirtschaftlichen Probleme wären dann gelöst. Betrachten wir den deutschen Satz, dann ist auch klar, wie die italienische Konstruktion funktioniert. Ein Unterschied zwischen der deutschen und der italienischen Konstruktion besteht insofern, als diese Konstruktion im Deutschen nicht wirklich ein System ist, das geht, im Gegensatz zum Italienischen, nur sporadisch und auf jeden Fall bedarf es noch zusätzlich einer adverbialen Bestimmung, also so was geht nicht.

Beispiel 
Die Autos reparieren sich.  
(Man repariert Autos.)  
Si riparano le macchine.

Wir werden die Konstruktion weiter unten nochmal beschreiben, aber im Grunde ist klar, was passiert. In Verbindung mit einem Reflexivpronomen ist das Subjekt immer sowohl Ausführender wie auch Ziel der durch das Verb beschriebenen Handlung, das ist nichts besonderes, wenn das Subjekt tatsächlich in der Lage ist, die Handlung auszuführen.

Ich wasche mich.
Ich sehe mich.

Beim si passivante wird dieses Konzept nun einfach erweitert, es wird auch dann so getan, wie wenn das Subjekt des Satzes sowohl Ausführender wie auch Ziel der durch das Verb beschriebenen Handlung ist, wenn das Subjekt die durch das Verb beschriebenen Handlung gar nicht ausführen kann. Es ist klar, dass sich die Äpfel nicht selber essen, aber könnten sie es, hätten wir, sieht man von der Tatsache ab, dass das Subjekt an den Schluss des Satzes wandert, also sozusagen noch einen Rest seines Objektcharakters bewahrt, es mit einem schlichten Reflexipronomen zu tun.

Beispiel 
Si mangiano le mele.
Man isst Äpfel.
(Äpfel essen sich.)
 





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