In diesem Zusammenhang ist aber "a chi" kein Dativ, sondern die Präposition "a" entspricht hier schlicht der deutschen Präposition "an". Bei scrivere (schreiben) wiederum handelt es sich um einen echten Dativ, dieses Verb kann nämlich auch noch einen "echten" Akkusativ haben ("Ich schreibe einen Brief") und folglich kann das eventuell vorhandene zweite Objekt nur noch ein Dativ sein.
A chi scrivi (questa lettera)?
<=> Wem schreibst Du diesen Brief?
Richtig fies sind dann aber die Verben, die im Deutschen einen Dativ verlangen, wie helfen (Ich helfe ihm). Aiutare verlangt aber im Italienischen einen Akkusativ.
L' aiuto a fare i suoi compiti.
<=> Ich helfe ihm, seine Hausaufgaben zu machen.
Hier also würde der Teutone nun die Präposition "a" verwenden, in der irrigen Meinung, diese gehöre dahin, weil es ein Dativ ist. Dem ist aber nicht so.
richtig: Chi aiutiamo? <=> Wem helfen wir?
falsch: A chi aiutiamo.
Es ist ja jetzt ein ganz beliebtes Spiel der Oberlehrer aller Couleur, anhand von an den Haaren herbeigezogenen Beispielen die Bedeutung der Kommasetzung, der Groß- und Kleinschreibung, Orthographie zu beweisen. Tatsächlich wird aber Sprache gesprochen und der Kontext wird immer mitgedacht. Die Italiener haben also kein Problem damit, dass dieser Satz zweideutig ist.
Chi aiuta? <=> Wer hilft ? / Wem hilft er ?
Da chi Nominativ wie auch Akkusativ sein kann und aiutare, im Gegensatz zum Deutschen, einen Akkusativ und keinen Dativ verlangt, könnte chi den Ausführenden der Handlung bezeichnen, wäre dann Subjekt ( Nominativ) des Satzes, oder auch das Ziel der Handlung bezeichnen, wäre dann Akkusativ. Wir werden hier nicht alle diese strittigen Kandidaten auflisten, es reicht für die Problematik sensibilisiert zu sein und es sind auch nur ganz wenige Verben, die so kompliziert sind. (Eine weitere Diskussion finden Sie im Kapitel 23, die Valenz der Verben.) Es gilt, was immer gilt. Man prägt sich die richtige Konstruktion automatisch ein, wenn man auf den kleinen Lautsprecher clickt.
Che und quale
Che heißt "was", verweist auf ein sächliches Substantiv oder auf einen Sinnzusammenhang, quale heißt welcher. Zusammen stehen sie hier, weil es eine Schnittmenge bei ihrer Anwendung gibt, also Fälle, wo das eine das andere substituieren kann. Das ist auch im Deutschen so.
Welcher Fluss fließt durch Berlin ?
Was für ein Fluss fließt durch Berlin ?
Es sei konzediert, dass die Schnittmenge im Deutschen geringer ist als im Italienischen (oder Spanischen) gleichwohl aber vorhanden ist. Auch bei diesen Sätzen könnte im Italienischen noch das eine Interrogativa gegen das andere ausgetauscht werden, im Deutschen wird es dann etwas grenzwertig.
a) Welchen Kuchen willst du ?
b) Was für einen Kuchen willst du?
Der Deutsche würde jetzt sagen, dass der Kontext bei a) und b) nicht derselbe ist. Bei a) besteht eine konkrete Auswahl an Kuchen, etwa weil man eine Speisekarte vor der Nase hat, wo eben die vorhandenen Kuchen aufgelistet sind und aus diesen soll man sich einen auswählen. Bei b) ist es eher so, dass man den Kuchen, den man sich wünscht, beschreiben soll, in der Hoffnung, dass irgendein konkret vorhandener Kuchen dazu passt. Viele werden aber sagen, dass auch bei diesem Beispiel eine Substitution von was durch welche möglich ist. Hier allerdings werden sich die Teutonen einig, eine Substitution ist nicht mehr möglich.
a) richtig: Welches Buch von Thomas Mann gefällt dir am besten?
b) falsch: Was für ein Buch von Thomas Mann gefällt dir am besten?
Geht es eindeutig um die Auswahl eines bestimmten Elementes aus einer Gruppe von Elementen, dann kann nur noch mit welcher konstruiert werden. Bei a) soll eine Auswahl getroffen werden, es wird nicht nach Eigenschaften der Bücher gefragt, gefragt wird allein nach dem Element einer Gruppe. Umgekehrt, umgekehrt.
a) Was für ein Typ ist er?
b) Welcher Typ ist er?
Hier geht es überhaupt nicht um die Entscheidung, ein Element aus einer Gruppe auszuwählen, hier geht es um Eigenschaften (wie groß, welche Ziele er hat, hilfsbereit, intelligent / dämlich etc.). An den Extemen ist eine Substitution also nicht möglich. Weiter bestehen auch in grammatikalischer Hinsicht zwischen che und was Unterschiede.
"Was" ist im Deutschen ein reines, pures Interrogativpronomen, kann nicht, wie im Italienischen, adjektivisch verwendet werden, also so was geht gar nicht.
falsch: Was Mensch ist er?
richtig: Che uomo è?
Im Gegenzug gibt es aber ein öffentliches Interesse, das im Zweifelsfalle vom deutschen Bundestag festzustellen und zu sichern ist, adjektivisch nach Eigenschaften einer Sache / Person oder eines Sinnzusammenhanges zu fragen. Man will also nicht immer nur wissen, welchen Tisch aus der Menge der Tische, die im Ikea Katalog stehen jemand gekauft hat, sondern auch die Eigenschaften (Farbe, Material, Gewicht etc. ) in Erfahrung bringen können. Eigentlich müsste es also so was geben und das gibt es im Italienischen, nicht aber im Deutschen.
falsch: Was Tisch hast du gekauft?
richtig: Che tavola hai comprato?
Diese nicht gerade tiefsinnige Erkenntnis hatten unsere germanischen Vorfahren wohl nicht. Wir rechnen ihnen zwar hoch an, dass sie 9 nach Christus in der Hermannschlacht den ollen Römer Varus in die Pfanne hauten, weil dieser sie daran hindern wollte, sich auf kuscheligen Bärenfällen zu räkeln, Wildschwein zu verspeisen, sich am Met zu ergötzen und beim romantischen Knistern der Flammen süße Germaninnen zu verknuspern und lauter kleine Germanen und Germaninnen zu zeugen, als spätes Resultat ihrer wild, romantischen Lendenkraft können wir aber Konstruktionen dieser Art nicht gutheißen.
Was für einen Tisch hast du gekauft?
Da fragen wir uns als Nachkömmlinge dieses Stammes schlicht, "wat den dat für ein Scheiß?".
Da das Deutsche kein adjektivisches Interrogativa kennt, mit welchem man nach den Eigenschaften einer Sache, Person oder eines Sinnzusammenhanges fragen kann, dies aber absolut notwendig ist, wurde eine Hilfkonstruktion eingeführt, die grammatikalisch nicht mehr aufgelöst werden kann. "Was für XX" steht schlicht für ein adjektivisches Interrogativa, also für ein adjektivisch verwendetes was. Was im Deutschen nicht möglich ist, ist im Italienischen möglich, che kann adjektivisch verwendet werden. Im deutschen braucht man hierfür, da ein sehr starker Bedarf nach einem adjektivisch verwendeten "was" besteht, eine Hilfskonstruktion, die aber im Grunde systemwidrig, wenn auch korrekt ist.
Che tavola hai comprato?
Was für einen Tisch hast du gekauft?
Witzig dabei ist noch, dass die Konstruktion "was für", obwohl eigentlich adjektivisch verwendet, nicht flektiert wird.
Was für Tische hast du gekauft?
Die Konstruktion "was für" ist also hochgradig systemwidrig. Unheimlich raffiniert ist dann diese Konstruktion.
Was für Schuhe willst du?
=> Was für welche willst du?
In dieser Konstruktion wird das Interrogativpronomen "welche", semantisch entwertet.
a) Welche willst du ?
b) Was für welche willst du ?
Bei a) fragt das Interrogativpronomen "welche" nach dem spezifischen Element einer Referenzgruppe, die sowohl dem Fragenden wie auch dem potentiell Antwortenden bekannt sein muss. Es hat also zwei Funktionen, zum einen die Stellvertreterfunktion, zum anderen die Funktion, etwas zu erfragen. Bei b) jedoch hat es diese zweite Funktion nicht mehr, es vertritt lediglich etwas und die Vertretung ist die einzige Funktion.
Schematisch dargestellt ergibt sich dann folgendes Bild. Das Mittelfeld ist im Italienischen größer. Als Richtschnur folgendes: Wenn expressis verbis, also ausdrücklich, eine Referenzgruppe genannt ist, es also eindeutig und glasklar ist, dass nicht nach Eigenschaften sondern nach einem Element aus einer Gruppe von Elementen gefragt wird, dann muss im Italienischen quale stehen.
Also: Referenzgruppe wird eindeutig genannt, gefragt wird nache einem spezifischen Element.
richtig: Di tutte le lettere che hai ricevuto, qual è la più bella?.
nicht: Di tutte le lettere che hai ricevuto, che è la più bella.
Von allen Briefen die du bekommen hast, welcher ist der Schönste.
Aber: Eigentlich wird nicht nach einer Eigenschaft gefragt, aber eine Referenzgruppe ist auch nicht genannt.
richtig: Quale treno devo prendere?
richtig: Che treno devo prendere?
richtig: Welchen Zug muss ich nehmen?
falsch: Was für einen Zug muss ich nehmen?
Bezüglich des Deutschen kann man hier sicher unglaublich viel Scharfsinn investieren um Kriterien zu finden, wann man "was für" durch "welche" ersetzen kann und wann nicht. Das Problem ist, dass Deutsch nicht unser Thema ist im Moment und was das Italienische angeht, ist es relativ klar. Eine Substitution des einen durch das andere ist nur an den Extremen nicht möglich, ansonsten geht es.
Im Italienischen ist eine eindeutige Entscheidung für quale oder che eigentlich nur dann nötig, wenn der Satz zweideutig ist.
a) Quale fiore ti piace?
=> Welche Blumen gefallen dir?
b) Che fiore ti piace?
=> Was für Blumen gefallen dir?
Wird jemand gefragt, welchen Typ von Blumen er mag, also nach Eigenschaften, dann müsste b) gewählt werden. Wird aber jemand gebeten, aus einer Gruppe von Blumen im Blumenladen auszuwählen, müsste a) gewählt werden. Die zwei Sätze unterscheiden sich also und folglich kann auch nicht substituiert werden. Anders verhält es sich hier.
a) Quale opinione si è fatto?
b) Che opinione si è fatto?
=> Was für eine Meinung haben Sie sich gebildet?
(Nebenbemerkung: Wie kann man eigentlich prüfen, ob die hier gemachten Bemerkungen plausibel sind? Letztlich kommt es darauf an, welche Konstruktionen tatsächlich üblich sind, ob grammatikalisch schlüssig oder nicht ist eigentlich zweitrangig. Sie können also die Sätze in google eingeben, mit Anführungsstrichen, andernfalls erhalten Sie alle Seiten, wo die einzelnen Wörter auftauchen und dann schauen, ob diese Konstruktion auch auftaucht. Das Problem dabei ist, dass eigentlich jede Konstruktion auftaucht. In einem zweiten Schritt müssen Sie dann prüfen, um was für einen Typ von Text es sich handelt. Das reicht dann von spontaner Äußerung eines Nicht-Muttersprachlers bis zu Essay eines versierten Muttersprachlers. Die zweite Möglichkeit ist, sie geben den Satz bei ChatGPT ein und lassen ihn von ChatGPT übersetzen. Übersetzt ChatGPT das, was Sie sich vorgestellt haben, ist der Satz wahrscheinlich richtig oder zumindest üblich.)
In diesem Fall ist jede Zweideutigkeit ausgeschlossen, der Satz ist auch nicht kontextabhängig. Es gibt keine Referenzgruppe aus seinen eigenen Meinungen, aus der er eine auswählen soll, er hat nur eine. Er wird lediglich gebeten, diese zu schildern. Da der Satz in beiden Varianten eindeutig ist, können auch beide Formen verwendet werden.
In substantivischer Verwendung ist die Angelegenheit übrigens deutlicher. Substantivisch kann quale / welcher nicht nach Eigenschaften fragen, sondern nur nach dem spezifischen Element einer Gruppe. Umgekehrt ist che / was in substantivischer Verwendung absolut, bezieht sich nicht auf eine Referenzgruppe. Substantivisch suggeriert quale / welcher sehr stark, dass eine Referenzgruppe vorhanden ist und eine Auswahl aus den Elementen dieser Gruppe vorzunehmen ist, was dann, bei falscher Verwendung, zu absurden Sätzen führt.